Knöpfe für „Eingeborenenkleidung“ und in „exotische Staaten“
Häufig ist derzeit von der „Neuen Seidenstraße“ die Rede, von politisch-wirtschaftlich imperialen Absichten, die China mit dieser Handelsstraße verfolgt. Es geht um den Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastrukturnetze zwischen China einerseits und über 60 Ländern Afrikas, Asiens und Europas andererseits. Das China Xi Jinpings sichert sich über die Schaffung dieser Straße Einfluss und Macht. Vor ca. 150 Jahren war das anders.
Im Folgenden wird vom kolonialen Erbe Lüdenscheids gesprochen. Voranzustellen ist, dass Unternehmen, die Exportgüter lieferten, keine Kolonialherren waren. Das waren vielmehr Repräsentanten von Staaten, die mit militärischen Mitteln Herrschaft z. B. in Afrika oder Asien sicherten, nachdem dort Territorien oder Häfen erobert worden waren.
Die Unternehmen exportorientierter Kolonialmächte, aber auch Unternehmen anderer Staaten betrieben einen durch Kolonialmächte gesicherten Handel mit in Europa erzeugten Endprodukten. Typisch für das damalige Selbstverständnis dieser Unternehmen war, dass ein im bergisch-märkischen Industriegebiet angesiedeltes Unternehmen seine auf 1855 auf der Weltausstellung in Paris präsentierten Metallknöpfe mit dem Motto „Fliegt in alle Länder und empfehlt uns!“ versah. Die Spezialindustrie dieses Wirtschaftsraums strebte an, englischen und französischen Fabrikanten, die die Märkte beherrschten, endlich Paroli zu bieten.
Die Briten besaßen für ihren weltumspannenden Herrschaftsbereich hervorragende Möglichkeiten zum Export eigener Fertigprodukte. Auch Lüdenscheider Unternehmen verkauften aus dem Deutschen Bund bzw. Kaiserreich heraus in großen Stückzahlen Metallknöpfe und Militäreffekten – teils nach Reisen der Geschäftsführer/Inhaber, teils über Kommissionshäuser – in Staaten und Regionen, die zum Herrschaftsbereich europäischer Kolonialreiche gehörten. Oder aber sie verkauften sie an diese Staaten selbst.
Knöpfe und Militäreffekte aus Lüdenscheid
Staat und Gesellschaft des Zarenreiches vor der Oktoberrevolution 1917 wurden z. B. mit Knöpfen und Militäreffekten von Lüdenscheid aus beliefert. Uniformen, die in militärischen und staatlich-zivilen Bereichen genutzt wurden, repräsentierten Macht, Herrschaft und Kultur. Durch die Uniformen sollte gesellschaftliche Hierarchisierung, aber auch die Macht des Staates sichtbar werden. Der Bedarf an Uniformknöpfen erstreckte sich nicht nur auf einzelne Territorien, die von Estland, Livland, Moskau, Warschau, St. Petersburg, Kijew, Cherson bis nach Irkutsk reichten. Vielmehr erforderten eigene Traditionen militärischer Einheiten ebenso Differenzierungen der heraldischen Motive auf den Uniformknöpfen wie dies für zivile Bereiche von der Feuerwehr, Post, Eisenbahn bis zur Finanzverwaltung der Fall war.
Das Museum Lüdenscheid präsentierte seit 1988 Knöpfe, die für den Export in Kolonialreiche bzw. ins Kaiserreich China bestimmt waren. Damit lassen sich Fragen verbinden: Handelte es sich bei den Produkten um Herrschaftsmittel, die sowohl militärisch-administrative Ordnungen abzusichern als auch die kulturelle Hegemonie der Kolonialstaaten durchzusetzen halfen? War mit ihnen eine Überformung der kulturellen Identität der Beherrschten verbunden? Oder handelte es sich um marktgängige Exportschlager? Um sich Antworten anzunähern, sollten zwei Bereiche voneinander unterschieden werden.
Erstens: Es ging Lüdenscheider Unternehmen um wirtschaftlichen Erfolg, der bei Spezialartikeln wie Knöpfen sich nur durch Exporte – im Klartext: auch durch Belieferung von Märkten in den Kolonialreichen – einstellte. Bekanntlich hatten in Übersee zunächst Spanien und Portugal, bald die Niederlande, England und Frankreich Kolonialreiche gegründet. Der Kolonialismus war mit einer beispiellosen europäischen Expansion verbunden. Im 19. Jh. traten Akteure hinzu. An der Aufteilung Afrikas beteiligten sich Belgien, Italien und das Kaiserreich. In Asien suchte das Zarenreich zu expandieren. Um 1900 kam Japan als Kolonialmacht hinzu.
Modebeobachter zur Erfolgssicherung
Historisch Interessierten in Lüdenscheid ist bekannt, dass das größte lokale Unternehmen der Knopf- und Schnallenproduktion P.C. Turck Wwe. in globalen Kontexten agierte. Turck belieferte 1899 z. B. den indischen Markt – ein Gebiet des britischen Kolonialreiches. Exportiert wurde in mehrere Staaten Europas und Amerikas, nach Russland und in das Osmanische Reich. Turck und andere Lüdenscheider Unternehmen produzierten Mode- und Uniformknöpfe. Obwohl sie sich auf die Uniformkopf-Produktion spezialisiert hatten, bestimmten solche Firmen sowohl in den Metropolen moderner europäischer Staaten als auch in Nordamerika das Erscheinungsbild modebewusster Damen bürgerlicher Kreise. Zur Erfolgssicherung setzten sie sogar Modebeobachter ein.
Aber diese Unternehmen definierten durch ihre Produkte eben auch weltweit maßgeblich das Bild von Funktionsträgern in militärischen und zivil-staatlichen Bereichen. Wenn sich in einem Kolonialstaat wie Indien Uniformierte der Kolonialmacht öffentlich zeigten, dann repräsentierten sie die kulturelle Dominanz und Macht europäischer Gesellschaften, und zwar auch durch eine ganz andere Kleidung mit an den Uniformen getragenen Symbolen des hierarchisch strukturierten Herrschaftssystems. Diese Gesellschaften hatten nach dem Aufbau stehender Heere in öffentlichen Gebäuden bzw. in Verwaltungen, in Städten mit Garnisonen oder militärischen Besatzungen sowie an Regierungssitzen bzw. Höfen die Präsenz von Uniformierten verstärkt. Wenn Staatlichkeit im kolonialen Kontext sichtbar wurde, dann durch die Uniformierung.
Zweitens sind bei der Thematisierung des kolonialen Kontextes der Lüdenscheider Industrie Produkte bemerkenswert, deren Formen oder Produktoberflächen auf die Gepflogenheiten der eingesessenen Bevölkerungen eingingen. Zu erwähnen sind hier China sowie Niederländisch-Indien und Britisch-Indien. Die Lüdenscheider Firma Robert Deitenbeck hatte in diesen Zusammenhängen vor dem Ersten Weltkrieg in Südostasien bedeutende Märkte erschlossen.
Mode-, Trachten- und Fantasieknöpfe für Indien und Afrika
Lüdenscheids vormaliger Museumschef Dr. Walter Hostert ermittelte vor 1960 für seine Dissertation Einzelheiten. Seine Kenntnisse fußten auf mündlichen Traditionen, Recherchen bei bestehenden Firmen oder Interviews. Der 1926 geborene Hostert konnte an die noch lebendige Kultur der Knopfindustrie in der Stadt anknüpfen. Im Rahmen der Recherchen entdeckte er Sonder- und Spezialmärkte, deren ‚Eroberung‘ hohe Exportzahlen zur Folge hatte. Das waren die Exporte in diejenigen „exotische Staaten“, von denen bereits 1905 der spätere P.C. Turck-Geschäftsführer Dr. Wilhelm Romland gesprochen hatte. Hostert hielt fest, dass der Spezialist für Südostasien Robert Deitenbeck „Knöpfe für Eingeborenenkleidung spez. für Britisch- und Niederländisch-Indien“ hergestellt habe. Eberhard Winkhaus, Mitglied einer Unternehmerfamilie, berichtete, dass er sich auf „Mode-, Trachten- und Fantasieknöpfe für Indien und Afrika“ spezialisiert hätte. Die Knöpfe seien so hochwertig, farbenfroh und so formschön gewesen, dass sie über ihre Bestimmung hinaus bei der eingesessenen Bevölkerung als „Schmuck begehrt“ waren.
Der chinesische Markt wurde mit Lüdenscheider Produkten überschwemmt. Nach dem britisch-chinesischen „Opiumkrieg“ (1840-42) hatte China sich auf Betreiben der siegreichen Großmacht im Vertrag von Nanking auf Hafenstädte festlegen lassen müssen, in denen sich die britischen Handelshäuser festsetzten. China bot für britische Waren beste Verkaufsmöglichkeiten. Andere Staaten folgten, z. B. Preußen. Durch einen Vertrag von 1861 wurden u.a. die Häfen Shanghai und Tsingtao für den deutschen Handel geöffnet. Mit der Reichsgründung 1871 erlebte der Export einen ungeheuren Aufschwung. Geliefert wurden Knöpfe, deren Dessin man dem erwarteten Geschmack der indigenen Bevölkerung anpasste. Begriffe mit chinesischen Schriftzeichen prägte man dazu auf die Vorderseite. Diese Knöpfe des Alltagsbedarfs taugten zum „antizyklischen Krisenmanagement“ (Bernd D. Plaum). Man konnte in einen unerschöpflich scheinenden Markt exportieren.
Die Bevölkerungen der von Europa aus beherrschten Kolonialstaaten wurden durch die Uniformierten der Kolonialmacht mit einer ihnen fremden Kultur der Herrschaftspraxis konfrontiert, die symbolische und potentiell gewalttätige Komponenten in sich trug. Eine Quantifizierung des Umfangs der Lüdenscheider Exporte auf die Märkte ‚exotischer Staaten‘ bis hin zu den so bezeichneten ‚Eingeborenen‘ ist schwierig. Wenn im Zeitalter des Kolonialismus und aggressiven Nationalismus eine deutsche Stadt bereits über Kontinente hinweg global exportierte, dann war das Lüdenscheid. Doch künftig vom ‚kolonialen Erbe‘ Lüdenscheids zu sprechen, darf nicht zur Verwechselung staatlichen Handeln mit den Interessen von Wirtschaftsunternehmen führen. Wie weit sich die Überformung kultureller Identitäten eingesessener Bevölkerungen durch Produkte Lüdenscheider Unternehmen erstreckte, ist nicht zu klären.